Mein Erleben auf dem Camino del Norte – von Küsten, Klarheit und inneren Grenzen.

Nachdem ich bereits drei Jakobswege in Portugal und einen in Deutschland gegangen war, sollte es dieses Mal eigentlich auf den Camino Francés gehen – den Hauptweg durch Spanien, den viele als ihren ersten Jakobsweg wählen. Als Wanderphilosophin hatte ich ihn noch nie begangen. Und ich dachte mir: Das geht eigentlich nicht.
Doch dann entschied ich mich, relativ kurzfristig, ihn noch einmal zu verschieben. Stattdessen zog es mich auf den Camino del Norte, den Küstenweg entlang der spanischen Nordküste – bekannt für seine atemberaubende Natur. Eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe.
Denn was die Naturschönheit betrifft, wurde ich reich beschenkt: endlose Sandstrände mit kristallklarem Wasser, majestätische Klippen, grüne Hügel, Berge und Täler. Der Weg war wie eine Symphonie aus Mittelmeerküste, Alpen, England und Irland – in einem. Jeder Ausblick ein Geschenk. Ja, der Camino del Norte ist wunderschön.

Aber der Jakobsweg ist nie nur eine Wanderung. Wenn du dich auf ihn einlässt, gibt er dir genau das, was du gerade brauchst – ob bewusst oder unbewusst. Wenn du Stille suchst, schenkt er dir Ruhe. Wenn du Begegnung willst, schickt er dir Menschen. Und wenn du dich nach Weite sehnst, öffnet er dir Horizonte.
Mir hat er etwas ganz Besonderes geschenkt: meinen allerersten verdienten Euro als Wanderphilosophin und Wegbegleiterin – durch Begegnungen mit Menschen, die genau zum richtigen Zeitpunkt kamen.
Doch jeder Jakobsweg prüft dich auch. Er stellt dir Aufgaben, zugeschnitten auf deine eigenen Themen. Ich wurde zum Beispiel immer wieder in Situationen geführt, in denen ich warten musste – Geduld ist nicht meine Stärke. Ich musste Kompromisse eingehen, mein Temperament zügeln, das gerne mal mit dem Kopf durch die Wand will.
Und ja, manchmal brachte mich der Weg an meine Grenzen. Besonders an die in meinem Kopf. An die, die ich mir selbst gesetzt hatte.
Die größte Herausforderung kam aber am Ende: Als meine zehn geplanten Tage vorbei waren und ich in den Bus zurück nach Bilbao stieg, merkte ich, dass ich nicht bereit war, aufzuhören. Ich wollte einfach weitergehen. Zurück auf den Camino. Zurück zu meinen Weggefährten.
Es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass mein Weg endete – und ihrer weiterging. Ohne mich. Ich dachte an die Orte, die wir gemeinsam hätten sehen können. An die Gespräche, das Lachen, die geteilten Schritte. Es fühlte sich an wie ein Abschied mitten im Satz.

Wieder zu Hause zu sein, dauerte länger, als die Rückreise selbst. Körperlich war ich da, aber mit dem Herzen noch unterwegs.
Ich glaube, das ist normal. Wenn du je einen Jakobsweg gehen möchtest, gib dir selbst zwei Wochen Zeit, um wirklich wieder „anzukommen“. Denn der Weg kann Dinge in dir aufwühlen, die lange geschlummert haben.
Und manchmal verändert er dich – ohne dass du gleich benennen kannst, was sich verändert hat. Vielleicht hast du unterwegs etwas gelöst, ohne es zu merken. Vielleicht bist du nicht mehr ganz die oder der, der du vorher warst.
Was auch immer dich auf diesen Weg geführt hat – sei es bewusst oder unbewusst – der Jakobsweg kann es an die Oberfläche holen.
Triggerwarnung: Er kann dich mit dir selbst konfrontieren. Und das kann weh tun. Aber es kann auch heilsam sein.
Gibt es in deinem Leben ein Thema, das du lösen möchtest? Etwas, das du dir überhaupt erst einmal bewusst machen willst?
Kannst du dir vorstellen, genau damit auf einen Jakobsweg zu gehen?
Liebe Sabine,
endlich habe ich Zeit und Muße gefunden, deinen Blog zu lesen. Vieles habe ich ähnlich, wenn auch lebensaltermäßig viel später, als du erfahren. Der Camino ist für mich allgegenwärtig und lässt mich seit den ersten Tagen vor sieben Jahren nicht mehr los. Wenn auch der Camino Francès damals der spirituellste für mich war, so waren auch die anderen, mit solch tiefen Erfahrungen verbunden, dass ich wie du das Gefühl habe, ich muss gleich wieder die Schuhe schnüren und mich zum nächsten Camino aufmachen. Auch die paar Tage, an denen wir beide uns dieses Jahr auf dem Camino del Norte begegnet sind und kennengelernt haben, bleiben unvergessen.
Ich sage immer Danke, dass ich das alles erleben darf und wünsche dir auch weiterhin viel Spaß und schöne Erfahrungen auf deinen nächsten Caminos
Wolfgang
Hallo lieber Wolfgang, ich danke dir ganz herzlich für deinen Kommentar. Deine Empfindungen kann ich absolut nachvollziehen. Mich lässt der Camino, seitdem ich damals 2022 gestartet bin, auch nicht mehr los. Und ich bin auch sehr dankbar, dass wir uns auf diesem Camino begegnet sind und ein paar Tage gemeinsam laufen konnten. Ich habe die Tage mit unserer kleinen Gruppe sehr genossen und denke noch viel daran.
Der Camino Frances steht bei mir auf jeden Fall noch auf der Liste. So, wie du es beschreibst, dass es der spirituellste Camino war, das sagten auch viele Andere, die den Frances schon gelaufen sind. Ich hoffe, dass ich dafür mal etwas länger Zeit bekomme, um ihn zu erleben.
Ich wünsche dir auch eine schöne Zeit und hoffe, dass du bald auch wieder in den Genuss des Caminos kommen wirst.
Herzliche Grüße,
Sabine